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Angststörung: Ich habe 47 Hilfsmittel getestet & das ist mein Fazit

Foto: Flora Maclean
Letztes Jahr hat die Zahl der Menschen, die unter Angst- und Panikattacken leiden, zugenommen. Und die Gründe sind auf steigende Lebenshaltungskosten, die höchste Inflation in den letzten fünfzig Jahren, und zum Teil auch auf die Pandemie zurückzuführen. Dazu gibt es noch viele andere Gründe, die die Angst schüren können, wie zum Beispiel den Klimawandel und Naturkatastrophen.
Mit dem Thema Angststörungen beschäftige ich mich, seit ich Ende der 2010er-Jahre meine erste Panikattacke hatte.
Es passierte an einem Tag im Juni. Ich war gerade mit dem Auto auf dem Weg zum Supermarkt, als ich auf einmal bemerkte, dass erst meine Zunge und dann mein gesamter Mund trocken wurde. Es ging ganz langsam. Es war, als ob ich Sand geschluckt hätte. Dann wurde mein Hals trocken und eine Welle panischer Angst überrollte mich. Ich hatte einen Kloß im Hals, mein Magen drehte sich um und von der Brust aus schoss Adrenalin in meinen ganzen Körper. Nach Luft ringend tritt ich auf die Bremse, öffnete die Tür und warf mich aus dem Auto. Verzweifelt griff ich nach meinem Handy und rief einen Krankenwagen. Ein paar Untersuchungen später wusste ich, ich würde es überleben – auch wenn ich der Schwester gerade noch panisch ins Gesicht geschrien hatte, ich würde sterben. Es war nur eine Panikattacke.
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Die Lösung? Diazepam. Doch wenige Wochen nachdem ich mit der Medikamenteneinnahme begonnen hatte, hielt ich die kräftezehrende Kombination aus Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel sowie das eigenartige Gefühl der Trauer nicht mehr aus. Ich weiß, vielen helfen Medikamente (genauer gesagt Antidepressiva, die mir angeboten wurden). Ich habe viele Freund*innen, für die Arzneimittel ein echter Rettungsanker waren. Aber für mich kommen sie nicht in Frage.
Als mir das bewusst wurde, war ich an einem Punkt, an dem mich meine Angststörung mein soziales Leben, meinen Job und meinen Verstand kostete und das Diazepam (das man übrigens nicht länger als vier Wochen am Stück nehmen sollte) schien das Gleiche zu bewirken. Ich musste mich also dringend nach anderen Lösungen umschauen. Und das habe ich dann auch getan. Genauer gesagt, habe ich innerhalb der letzten sechs Jahre 47 verschiedene Dinge ausprobiert. Ich habe alles getestet, das mir Hoffnung darauf machte, Kontrolle über die Störung zu bekommen, die sich wie Unkraut in meinem Kopf festgesetzt und sich langsam in meinem ganzen Körper ausgebreitet hatte.
Manche Praktiken und Hilfsmittel waren lebensverändernd, andere haben mich ermutigt, manche waren bizarr, andere komplett sinnlos. Ich habe es mit wissenschaftlich erprobten Ansätzen probiert, aber auch mit holistischen.

Herkömmliche Methode gegen Angstörung

Angefangen habe ich mit herkömmlicheren Methoden, die mir meine Hausärztin empfohlen hat, wie kognitive Verhaltenstherapie und Achtsamkeitsübungen. Auf die Bewältigungsstrategien, die ich während der Verhaltenstherapie gelernt habe, setze ich noch heute. Regelmäßig angewendet, helfen sie dabei, dein Gehirn neu zu vernetzen und neue neurolinguale Bahnen zu kreieren. Und das kann wiederum neue, ruhigere Angewohnheiten begünstigen. Auch der achtwöchige Mindfulness-Kurs, den ich besucht habe, hat mir geholfen – am Anfang zumindest. Er hat mich allerdings ganze 350 Euro gekostet und Teil einer Übung war es, sich eine ganze Stunde lang Zeit zu nehmen, um eine Rosine zu essen („Riech an der Rosine, reibe die Rosine zwischen deinen Fingern, rolle sie auf deiner Zunge entlang“). Eine Weile habe ich täglich 45 Minuten Achtsamkeitsübungen gemacht. Aber irgendwann schlich sich die Routine ein und meine Gedanken drifteten immer häufiger ab. Mit Mindfulness-Apps versuchte ich, wieder konzentrierter an die Sache heranzugehen. Am besten gefallen hat mir Happy Not Perfect (englischsprachig, ca. 40 Euro für ein halbes Jahr). Sie ist heiter, einnehmend genug und animiert eine*n dazu, sich machbare Gewohnheiten anzutrainieren.
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Alternative Methoden

Zusätzlich probierte ich auch alternative Behandlungsmethoden aus, wie Emotional Freedom Techniques (Stimulation von Akupressurpunkten), Hypnotherapie und Qi (oft mit Lebenskraft oder Energie übersetzt, umfasst aber noch mehr). Wenn du überlegst, alternative, ergänzende oder holistische Methoden und Therapien auszuprobieren, würde ich dir jedoch raten, dich vorher gründlich darüber zu informieren. Die Wirksamkeit einiger Ansätze kann wissenschaftlich nicht bewiesen werden, deswegen überleg dir genau, wem du vertraust und wem du dein Geld geben möchtest! Versteh mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen alternative Behandlungen, im Gegenteil. Sie können sehr hilfreich sein. Ich will damit einfach nur sagen, dass du vorsichtig sein sollst. Und wo wir gerade schon beim Thema Geld sind: Viele der 47 Dinge, die ich probiert habe, waren nicht gerade günstig und nicht jede*r kann sich das leisten. Ich hatte die Möglichkeit, mich ganz bewusst dafür zu entscheiden, indem ich sagen konnte: Na gut, dann eben kein neues Sommerkleid oder Diese Woche koche ich nur zu Hause.

F**k-it-Therapie

Die Behandlungsmethode, auf die ich am häufigsten angesprochen werde, ist die F**k-it-Therapie. Die meisten finden die Idee dahinter lustig, weil du aus therapeutischen Gründen nicht nur Fluchen darfst, sondern sogar dazu ermutigt wirst. Ich bin über eine Empfehlung einer Freundin dazu gekommen – sie erzählte mir von John C. Parkins Buch F**k It Therapy: The Profane Way to Profound Happiness. Im Vergleich zu traditionellen Therapien musst du hier nicht auf einem Sofa sitzen und über deine Gefühle reden. Es geht vielmehr darum, zu realisieren, dass das, worum du dir Sorgen machst, vor dem Hintergrund des großen Ganzen eigentlich nicht wichtig ist. Diese Erkenntnis kann dir helfen, dich von deinen Ängsten zu befreien. Das Buch ruft dazu auf, eine ‚F**k it‘-Attitude an den Tag zu legen und Dinge loszulassen, an denen wir uns zu sehr festklammern. Ich vereinfache das Ganze natürlich stark. Aber ich fand es extrem befreiend, auf diese Art und Weise zu leben – oder die Methode wenigstens in einigen Lebensbereichen anzuwenden. Wenn du willst, versuch es einfach mal. Überleg dir, was dich gerade total stresst und sag dann ‚F**k it!‘. Sag es laut, nein, schrei es am besten in die Welt hinaus! Und? Wie fühlst du dich?
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Tanzen gegen Angst

Und dann gab es noch Methoden, die ich intuitiv für mich entdeckt habe – wie zu 90er Musik zu tanzen. Ich habe mich jeden Morgen ins Badezimmer eingeschlossen, eine Playlist angeschmissen und mich einfach so bewegt, wie es sich gerade richtig anfühlte. Manchmal schüttle ich einfach komplett willkürlich meine Gliedmaßen, manchmal dreh ich vorm Spiegel Pirouetten und manchmal lasse ich die Hüften kreisen. Ich tanz mir die Ängste von der Seele und lasse den Endorphinen freien Lauf. Oft bring ich mich damit auch selbst zum Lachen und Lachen ist das perfekte Gegengift für Ängste.

Elektrotherapie

Das Beste, das ich probiert habe, ist jedoch ohne Zweifel Alpha Stim AID – ein medizinisches Gerät zur Elektrotherapie, das zur Behandlung von Schmerzen, Angstzuständen, Schlafstörungen und Depressionen eingesetzt wird. Es ist zwar sehr teuer und am Anfang kam ich mir auch vor, als wäre ich in einer Folge von Black Mirror gelandet. Aber schon nach einer Woche hatte ich das Gefühl, wieder mehr Kontrolle zu haben. Ich schlief besser, wache nicht mehr voller Sorgen auf und die Idee, in einem vollen Restaurant zu essen, treibt mir jetzt keine Schweißperlen mehr auf die Stirn. Die ersten sechs Wochen habe ich es täglich getragen und mittlerweile verwende ich es drei bis vier Mal pro Woche.

Kontraproduktive Behandlungen

Es gab aber auch Methoden, die ich persönlich für weniger effektiv halte; tatsächlich habe ich mich nach einigen sogar ängstlicher gefühlt als davor. Zum Beispiel habe ich auf Empfehlung einer Freundin Floating-Tanks ausprobiert. Ziel war es, ein himmlisches Gefühl der Schwerelosigkeit zu erleben, aber für mich fühlte es sich eher so an, als wäre ich in einem Wasserfass gefangen. Vielleicht hätte ich die 55 Euro besser in Champagner investieren und darin baden sollen… Ein ähnliches Resultat brachte mir die Wechselatmung: Durch sie brachte ich mich mehr oder weniger selbst zum Hyperventilieren.
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Mein Fazit nach sechs Jahren des Ausprobierens

Das Erste, was ich gelernt habe ist: Das Ziel ist nicht, die Ängste komplette aus dem Leben zu verbannen. Vielmehr geht es darum, sie zu akzeptieren, zu respektieren und am Ende behutsam, ja sogar liebevoll mit ihnen umzugehen. In etwa so, wie du es mit einem Kind machen würdest, das sich Sorgen macht. Ein Leben ohne Ängste ist nicht möglich – dann springst du am Ende noch auf die Straße und wirst überfahren, weil du vorher nicht nach links und rechts geschaut hast.
Learning Nummer 2: Nur, weil etwas teuer ist, ist es nicht automatisch immer hilfreich und effektiv. Ja, ich habe eine Maschine, die knapp 800 Euro kostet. Aber ich mache auch täglich kostenlose Atemübungen und die helfen mir auch. Probier’ verschiedene Dinge aus, dann findest du bestimmt das Richtige. Und damit wäre ich auch schon beim dritten Punkt angelangt: Nur weil etwas bei mir funktioniert hat (oder eben nicht), heißt das nicht, dass es bei dir genauso sein muss. Wenn du gar nicht weißt, wo du anfangen sollst, geh am besten zu allererst zu deiner Hausärztin oder deinem Hausarzt und spreche mit ihr oder ihm über deine Symptome. Außerdem kannst du dich auch an psychotherapeutische Beratungsstellen wenden.
Aber die Erkenntnis, die mich am meisten ermutigt ist: Es gibt hunderte von Möglichkeiten, Ängste zu behandeln. Das heißt, wenn eine Behandlung bei dir nicht funktioniert, ist das zwar schade, aber es gibt auf jeden Fall noch unzählige weitere Optionen. Also gib die Hoffnung nicht auf, experimentiere, sei neugierig und vor allem geduldig mit dir selbst. Vielleicht dauert es eine Weile, aber am Ende hast du eine ganze Reihe von Hilfsmitteln an der Hand, die du je nach Situation und Lebenslage anwenden kannst. Wenn die Ängste in der U-Bahn aufkommen, schmeißt du vielleicht eine beruhigende Playlist an oder führst eine kurze Meditation durch. Wenn du in dem Moment zu Hause bist, tanzt du vielleicht nackt durch die Wohnung. Und wenn du dir einfach mal alles von der Seele reden willst, machst du das bei deiner wöchentlichen Therapiesitzung. Oder, oder, oder. Du siehst: Es gibt wirklich viele Behandlungsmöglichkeiten. Und zur Inspiration liste ich dir abschließend noch mal alles auf, was ich getestet habe.
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Das sind die 47 Dinge, die ich ausprobiert habe (in keiner bestimmten Reihenfolge):

Emotional Freedom Techniques
F**k-it-Therapy
Achtwöchiger Mindfulness-Kurs
Alpha stim AID
Bauchatmung
Die App Happy Not Perfect
Kognitive Verhaltenstherapie
Verabredungen absagen
Arbeitspensum reduzieren
Social Media Detox
Morgens lesen
Lavendelbäder
Kalms (pflanzliches Arzneimittel)
Ätherische Öle (an bestimmten Punkten)
Massagen
Mindful Colouring (achtsames Ausmalen)
Kunsttherapie
Yoga
Tanzen (in meinem Zimmer, nackt)
Dokumentationen über seelische Gesundheit anschauen
Mit anderen über Ängste sprechen
Neurolinguistisches Programmieren
Tagebuch führen
Mehr lächeln
Dankbarkeitstagebuch
Qi-Behandlungen
Besuch einer Ernährungsberaterin
Besuch eines Naturheilpraktikers
Kundalini-Atmung
Spazieren
Auf’s Land fahren
Selbsthilfebücher lesen (absolute Empfehlung: First We Make The Beast Beautiful von Sarah Wilson)
Hypnotherapie
Kein Alkohol
Kein Kaffee
Kein Zucker
Atemtraining
Blumenstecken
Flotating-Becken
Beruhigende Playlists auf Spotify erstellen
Physiotherapie
Tee aus heiligem Basilikum (Pukka hat einen tollen! Er heißt Drei Tulsi Tee)
Wechselatmung
CBD-Öl
Gongklangbad
Kreatives Schreiben
Nahrungsergänzungsmittel: Magnesium
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Wenn du selbst an einer Angststörung leidest oder eine Person kennst, die Hilfe gebrauchen kann, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.

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