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Während Corona habe ich mehr echte Freundschaften geschlossen als je zuvor.

Foto: Poppy Thorpe
Ich muss ein Geständnis ablegen: Als Freundin habe ich dieses Jahr wahrlich nicht besonders brilliert. Im Frühjahr, als alle Zoom-Partys feierten, um mit der Einsamkeit im Lockdown zurechtzukommen, vergrub ich mich in meiner Arbeit. Ich versuchte das stetig wachsende, ungute Gefühl in meinem Bauch, das mir keine Ruhe mehr gab, zu verdrängen. Die Pandemie hatte die Aufmerksamkeit aller auf eine unbequeme Wahrheit gelenkt: Obwohl es noch nie einfach gewesen war, Freundschaften zu pflegen, war es aber wohl kaum jemals so schwer gewesen wie jetzt, oder?
Freundschaften mussten dieses Jahr ganz schön viel durchmachen und wurden somit richtig auf die Probe gestellt: von psychischen Problemen, die ihren Tribut fordern, über widersprüchliche Bewältigungsmechanismen bis hin zu Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf das Thema soziale Distanzierung. Kontakt zu besten Freund:innen beschränkt sich jetzt hauptsächlich auf virtuelle Gespräche. Lockere Bekanntschaften sind seit Corona überhaupt völlig auf der Strecke geblieben (Bekannte, mit denen du eigentlich nur ausgehst und abgesehen von deiner Liebe zu Gin Tonics und After-Party-Kebabs nicht viel gemeinsam hast). Das Jahr 2020 hat unser Sozialleben auf unvorhersehbare Weise auf den Kopf gestellt. Freundschaften während einer Pandemie aufrechtzuerhalten, stellt eine zusätzliche Herausforderung dar, mit der wir umzugehen lernen mussten.
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Da ich von Natur aus introvertiert bin und eine Vorliebe fürs Schwarzmalen habe, konnte ich mich zu der Zeit alles andere als mich von meiner besten Seite präsentieren. Obwohl ich täglich spazieren ging und währenddessen mit Freund:innen telefonierte, verbrachte ich die erste Hälfte des Jahres hauptsächlich damit, mich zu fragen, ob ich jemals in der Lage dazu sein würde, etwas anderes zu meinem Gegenüber zu sagen als: „Ehrlich gesagt, komme ich nicht so gut mit dieser Situation zurecht.“
Die Corona-Krise stellt für uns alle eine neuartige Situation dar. Einsamkeit ist aber keine Neuheit. Durch die Pandemie wurde diese weit verbreitete „Zivilisationskrankheit“ verschärft, denn Isolation und Lockdowns wirken sich negativ auf unsere mentale Gesundheit aus. Aktuelle Statistiken zeigen, dass dieses Problem alle Alterskategorien betrifft. Obwohl der eingeschränkte Kontakt zur Familie ältere Menschen hart trifft, sind sie besser vorbereitet als jüngere Bevölkerungsgruppen. Das ungewollte Alleinsein ist Expert:innen zufolge so schädlich wie das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag und führt zu höheren Depressions- und Demenzraten.
Im Erwachsenenalter neue Freund:innen zu gewinnen, ist aber auch so oder so einfach sehr schwer.
Freundschaften entstehen oft aus gemeinsamen Erfahrungen, die es zu Schul- und Uni-Zeiten in Hülle und Fülle gibt. Das lässt aber mit der Zeit nach. Als Erwachsene ziehen wir woanders hin, wechseln unsere Jobs und verändern unsere Wohnsituation. Wir haben weniger Freizeit als früher. Dafür nimmt aber unsere Verantwortung zu. Folglich hören wir mehr und mehr damit auf, unsere Kraft und kostbare Zeit in Kontakte außerhalb unseres bestehenden Freundeskreises zu investieren. 
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Erst beim zweiten Lockdown stellte ich fest, dass ich mir zwar ein ganzes Jahr lang Sorgen um meine bestehenden Freundschaften gemacht hatte, ich in den letzten neun Monaten aber so viele neue Freund:innen gewonnen hatte wie schon lange nicht mehr. Das war aber nicht etwas, das ich mir als Ziel gesetzt hatte. Ursprünglich hatte ich bloß versucht, aus meinem natürlichen Wohlfühlbereich auszubrechen und neue Menschen zu treffen, mit denen ich offen und ehrlich sein konnte. Ich schrieb mich für einen Kurs zum Thema positive Psychologie ein, der jede Woche stattfand. Ich schloss mich dank eines Twitter-Aufrufs einer virtuellen Selbsthilfegruppe an und trat einer Community für Freiberufler:innen auf Slack bei. Ich schickte leicht verstörte, enthusiastische E-Mails und direkte Nachrichten auf Instagram an Leute, mit denen ich vorher noch nie gesprochen hatte. Ich nahm häufiger an Calls, Webinaren und Diskussionsrunden teil, die für meine Branche relevant waren – mehr als es irgendjemandem erlaubt sein sollte. Ich fing an, einen wöchentlichen Newsletter über radikale Freude zu schreiben. Die kleine, aber unglaublich unterstützende Gemeinschaft, die ich so aufgebaut habe, hat sich als Rückzugsort in einer Zeit erwiesen, in der wir genau solch eine Form von Sicherheit am meisten vermissen.
Natürlich sind nicht alle Personen, mit denen ich zu tun hatte, schnell zu Freund:innen geworden. Die positiven Erfahrungen übertreffen aber eindeutig die negativen. Ich tausche jetzt regelmäßig E-Mails mit einigen meiner Lieblingsautor:innen aus. Außerdem habe ich nun laufend Kontakt mit Freund:innen am anderen Ende der Welt, mit denen ich auf WhatsApp mittels Sprachnachrichten kommuniziere. Als ich Freund:innen das erste Mal mithilfe von FaceTime anrief, war ich so nervös wie bei einem ersten Date. Ich habe sogar wieder die Verbindung zu jemandem aufgenommen, mit dem ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesprochen hatte. Wir haben genau da weitergemacht, wo wir zuletzt aufgehört hatten. Aufgrund der Pandemie hatten wir beide natürlich einen unglaublichen Nachholbedarf. Ich habe bereits Pläne geschmiedet, mich mit vielen dieser Leute zu treffen, sobald sich alles wieder normalisiert hat. Sie fühlen sich viel konkreter an als mein üblicher Vorschlag – der vor der Pandemie doch so typisch für mich war–, sich demnächst einmal unbedingt auf einen Kaffee zu treffen.
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Um ehrlich zu sein, ist es für mich mittlerweile auch in Ordnung, wenn wir uns gar nicht mehr persönlich treffen können und deshalb gezwungen sind, unsere Verbindung virtuell oder telefonisch am Leben zu erhalten. Ich habe nämlich in der Zwischenzeit gelernt, dass sich Freundschaft nicht dadurch definiert, wie oft man sonntags gemeinsam brunchen geht. Was wirklich zählt, sind Zuneigung und gegenseitige Unterstützung. Das gibt uns den nötigen Halt, um dieses Jahr, in dem jede noch so kleine Freude zählt, durchzustehen. Außerdem erinnert es uns daran, dass wir uns alle gleichermaßen nach Verbindung und Zugehörigkeit sehnen. Unsere Zeit in den sozialen Medien zu verbringen, an Zoom-Events teilzunehmen und die gleichen Serien wie alle anderen anzusehen (geht es nur mir so oder fühlt es sich so an, als würde Tiger King eine Million Jahre zurückliegen?), stellen verschiedene Möglichkeiten dar, um mit Kummer zurechtzukommen, gegen den wir ja auch vor der Pandemie nicht gefeit waren. Die Zahl der Online-Communities ist stark gestiegen, da sie jetzt zusätzlich als Ersatz für persönliche Treffen dienen. So haben wir jetzt möglicherweise einen Eindruck davon gewonnen, wie Freundschaften in Zukunft aussehen könnten.
Dieses Jahr hat uns vor Augen geführt, was wir in schwierigen Zeiten wirklich brauchen, um sie meistern zu können. Ich hoffe, dass wir diese Erkenntnisse nicht im Laufe der Zeit vergessen werden. Mein Rat an alle, die ihr soziales Leben im Jahr 2020 und danach drastisch verändern wollen, lautet: Denk darüber nach, welche Bedeutung die Personen in deinem Leben für dich haben, welche Interaktionen du als belastend empfindest und welche dich mit Energie aufladen. Nutz diese Einsichten, um Unterschiedliches auszuprobieren. Wenn du dich selbstständig gemacht hast, gibt es Communities, die Selbstständige dabei unterstützen, sich um ihre psychische Gesundheit zu kümmern. Wenn du in den Medien tätig bist, gibt es zahlreiche interessante Veranstaltungen und Twitter-Accounts, die hilfreiche Informationen bieten und es dir ermöglichen, Kontakt zu Gleichgesinnten herzustellen. Es gibt auch wunderbare Workshops, die regelmäßig stattfinden und außerdem kostenlos sind. An Webinaren teilzunehmen, kann ich auch nur empfehlen. Du kannst interessante Seminare finden, indem du auf Twitter nach „Zoom“ in Kombination mit branchenspezifischen Stichwörtern suchst. Facebook-Gruppen oder MeetUp-Listen sind weitere empfehlenswerte Optionion, um deinem Sozialleben einen Neuanstrich zu verpassen. Selbst der verrückteste Versuch kann zu einer echten und bedeutsamen Draht zu einer anderen Person führen. Und ist das nicht etwas, das wir noch nie so sehr wie jetzt benötigt haben?
Sei also bitte nett, wenn du auf Instagram eine direkte Nachricht von mir bekommst, in der ich dir mitteile, dass ich dich wirklich cool finde. Ich versuche doch nur, neue Freund:innen zu gewinnen. Und das ist nun mal die einzige Art und Weise, die mir vertraut ist.

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