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Warum ich als Plus-Size-Frau ein Problem mit Body Positivity habe

Wenn ich im folgenden Text von dicken Menschen spreche, dann meine ich wirklich dicke Menschen. Ich meine keine Ashley Graham, die sich mit Größe 44/46 grazil in Bademode räkelt und ihren Körper mit einem professionellen 5-Mal-die-Woche-Trainingsplan rund und fit hält. Und ich meine auch keine Barbara Schöneberger, die mit ihren Kurven und einem No-Make-up-Look versucht, den Frauen ein realistischeres Spiegelbild zu geben. Nein, ich meine Menschen, bei denen das Übergewicht gesundheitsgefährdende Ausmaße annimmt. Menschen, die bei 1,65 Meter Körpergröße 90 Kilo wiegen, von denen 75 Prozent nicht Muskelmasse, sondern Fettanteil sind.
Body Positivity hat eine noble Absicht, verliert meiner Meinung nach jedoch einen wesentlichen Aspekt aus den Augen: die Gesundheit. Ich falle selbst in die „Plus Size“-Kategorie und verstehe und unterstütze die Absicht, Frauen, die keine 34er Figur haben, repräsentieren, emporheben und zelebrieren zu wollen. Es geht darum, ihnen eine Plattform zu bieten, sich im Mainstream wiederzuerkennen. Das alles ist richtig und wichtig. Allerdings sollte der Fokus doch weiterhin auf einem gesunden Lebensstil liegen. Viele schreien bei diesem Einwand auf: Immer dieser Deckmantel der Gesundheit, dabei kenne man nie die ganze Geschichte einer fremden Person. Und sowieso wolle man doch eigentlich nur mit dem Finger auf Dicke zeigen. Vielleicht ist das Übergewicht krankheitsbedingt. Vielleicht geht es der Person sogar trotzdem gut, sie ist fit und hat keinerlei Beschwerden. Das mag auf eine Gruppe von adipösen Menschen zutreffen, es gibt jedoch keine Belege dafür, dass das für die Mehrzahl gilt. Vielleicht also alles auch ein bisschen Selbstverarsche?
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Dass wir realistische Schönheitsideale sichtbar machen wollen, darf nicht auf Kosten der Gesundheit gehen

Sven Stockrahm schrieb 2016 in der ZeitSchönheitsideal und gesundes Gewicht sind nicht dasselbe“. Dass wir uns im 21. Jahrhundert endlich für die Sichtbarmachung von mehr als nur einem einzigen, unrealistischen Schönheitsstereotypen einsetzen, ist wahrlich nobel, wenn auch längst überfällig. Allerdings darf das nicht auf Kosten der Gesundheit gehen. Es muss doch einen Mittelweg geben zwischen „In Paris kennt man nur Size Zero“ und „ALLES ist erlaubt und schön und gut“.
In Deutschland ist aktuell ein Viertel aller Frauen adipös, also krankhaft übergewichtig. Das führt nicht selten zu zahlreichen Nebenerscheinungen und chronischen Krankheiten: Diabetes, Herzprobleme, Bluthochdruck, hohe Cholesterin- und Leberwerte, Kopf-, Gelenk- und Gliederschmerzen, Depressionen, Angstzustände, Hautunreinheiten, die Liste könnte noch lange so weitergehen. Laut einer im Dezember 2016 veröffentlichten Studie der Techniker Krankenkasse leidet jede vierte Frau in Deutschland an ernährungsbedingten Herz-Kreislauf-Störungen, 15 Prozent leiden an einer chronischen Stoffwechselerkrankung. Zwischen gesundem Übergewicht, was es durchaus gibt, und krankhafter Fettleibigkeit gibt es also einen wesentlichen Unterschied und dieser muss benannt werden.
Wenn ich mich so in meinem weiteren Verwandten- und Freundeskreis umschaue, dann sind die wenigsten übergewichtigen Menschen wirklich gesund, geschweige denn übergewichtig durch „höhere Gewalt“. Gefühlte 95 Prozent dieser Menschen mögen einfach keinen Sport, oder nicht genug, dafür essen sie umso lieber. Auf die Gesundheit wird dabei nur in akuten Fällen geachtet, denn wer kann schon mit Mitte Zwanzig oder Dreißig abschätzen, wie sich verstopfte Arterien oder kaputte Knochen anfühlen?
Jetzt könnte man argumentieren, „Muss denn wirklich jeder gesund leben?“ Meine Antwort: Muss nicht. Dann hätte die Krankenversicherung allerdings auch das Recht, durch Eigenverschulden krankhaft dicken Menschen doppelt so hohe Beiträge abzuverlangen. Freiwillige vor.
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Vor vier Jahren war ich selbst noch sportlich und schlank, seitdem habe ich ungesund zugenommen. Das lag einerseits tatsächlich an gesundheitlichen Komplikationen, Hormonstörungen, späten Diagnosen, falschen Medikamenten. Andererseits aber ehrlicherweise auch an fehlender Disziplin und einer untragbaren Mentalität des sich gehen Lassens: das Studium, das ich großteilig im Sitzen verbrachte, der erste richtige Job, auch im Sitzen, der mich dazu verführte zu glauben, ich hätte plötzlich keine Zeit mehr für Sport. Alles Quatsch. Und nun, siehe da, wiege ich so viel, dass mir ärztlich vom Halbmarathontraining abgeraten wird, weil es meinen Knochen langfristig schaden würde. Stattdessen solle ich lieber schwimmen und behutsam bankdrücken. Ich bewege mich allgemein noch immer gerne und viel. Allerdings ist mein Körper spürbar schwerfälliger geworden. Ich merke meinen Puls schneller als zuvor, fange schneller an zu schwitzen, komme schneller aus der Puste. Und ich weiß, dass es nicht nur mir so geht.

Meist endet Adipositas in einem Teufelskreis: ungesunde Ernährung, fehlende Bewegung, Frustration, Essen zur Kompensierung, noch mehr Frust, noch mehr Gewicht

Wenn ich nun jüngeren Frauen begegne, die schon im Teenager-Alter stattliche 150 Kilo auf die Waage bringen, dann bin ich die letzte, die ihnen ein schlechtes Gewissen machen wird. Natürlich ist jeder Mensch schön. Wer jedoch durch eigenes Handeln geradezu auf die Fettleibigkeit zusteuert, vor dem*der brauche ich auch nichts schönzureden. Ich muss beileibe nicht jede Mahlzeit kommentieren oder Menschen auf Grund ihres Gewichts demütigen, ich muss einer fettleibigen Person aber auch nicht einreden, dass es keinen Anlass zur Sorge gebe. Denn meist endet Adipositas in einem altbekannten Teufelskreis: ungesunde Ernährung, fehlende Bewegung, Frust als Folge, Essen als Kompensationsmaßnahme, noch mehr Frust, noch mehr Gewicht. Diesen Zyklus bricht man nicht mit Body Shaming und auch nicht mit demütigenden Kommentaren. Allerdings bricht man ihn auch nicht mit vermeintlicher Body Positivity und einem #EffYourBeautyStandards-Hashtag, der Mädchen und Frauen mit Übergewicht suggerieren soll, alles sei fein, so wie es ist.
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Stattdessen sollte mit Bildung, Informationsportalen und Präventionsmaßnahmen dafür gesorgt werden, dass die Gesundheit im Vordergrund steht. Denn dass gesundes Essen gar nicht immer teuer oder aufwändig sein muss, wissen vermutlich viele. Alles, was dann noch dagegen spricht, ist die Bequemlichkeit. Es gibt aber noch andere, weniger bekannte Faktoren: Wie viele wissen zum Beispiel darüber Bescheid, dass die meisten Krankenkassen die Kosten für Präventionskurse übernehmen? Oder darüber, dass auch Studierende und Auszubildende gegen einen kleinen Obolus bei den Ausgabestellen der Tafel frisches und oftmals sogar regionales Gemüse und Obst bekommen? Solche kleinen Informationen sind oft schon sehr hilfreich auf dem Weg der Veränderung.

Wenn wir bei bedenklich mageren Models auf dem Laufsteg aufschreien, müssen wir auch bei Fettleibigkeit aufschreien

Für mich verhält es sich mit der Body Positivity außerdem ein bisschen wie mit dem Feminismus. Und gerade deshalb liegt es mir schwer im Magen, dass so wenige emanzipierte Frauen hier vorschnell und oft unreflektiert die Faust in die Luft heben und mehr Akzeptanz fordern: Jahrhundertelang haben sich Wissenschaftler*innen, Forscher*innen, Lehrer*innen, Ärzt*innen, Eltern, Kinder und noch viele mehr dafür eingesetzt, dass wir heute ein gesünderes Leben führen können. Wir haben das Wissen, die Mittel und den Zugang zu allem, was man dafür bräuchte, weil es andere für uns erarbeitet haben. Warum sollten wir das nun mit Füßen treten, einer merkwürdigen Pseudoakzeptanz zuliebe?
Wenn wir als Gesellschaft jedes Mal aufschreien, wenn ein Modelabel bedenklich magere Models auf den Laufsteg schickt, müssen wir auch aufschreien, wenn jemand Fettleibigkeit normalisieren will. Entweder akzeptieren wir beides oder wir wehren uns gegen beides, alles andere ist Doppelmoral.

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