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Diese Arten von Grenzen gibt es & so wahrst du sie

Foto: Meg O'Donnell
Grenzen. Wenn du das Wort nicht schon während deiner Therapiesitzungen gehört hast, hast du es bestimmt schon irgendwo in den sozialen Medien auftauchen gesehen. Es scheint das aktuelle Modewort zu sein, das betont, wie wichtig es ist, unseren eigenen physischen und emotionalen Raum zu schützen und gleichzeitig andere dazu zu ermutigen, dasselbe zu tun. Der Gedanke hinter dem Setzen von Grenzen ist folgender: Indem du zum Ausdruck bringst, was gut und akzeptabel für dich ist und was nicht, und wie du behandelt werden möchtest, schützt du deine Identität und dein Wohlbefinden.
Seit der Pandemie hat der Begriff an Popularität gewonnen, weil wir uns an neue Routinen und Prioritäten, die viele von uns jetzt haben, gewöhnen und gleichzeitig für uns selbst sorgen müssen. Denk für eine Sekunde bloß einmal an die stressigen Lockdown-Zeiten, während denen so viele von uns mit aufdringlichen Familienmitgliedern zusammenleben oder unangenehme Gespräche mit Freund:innen darüber führen mussten, warum wir nicht an Treffen teilnehmen wollten, die gegen die Corona-Regeln verstießen. Aufgrund dieser schwierigen Erfahrung sahen sich viele von uns gezwungen, Grenzen zu setzen, die wir vorher nicht gezogen hatten, oder jene, die wir schon seit Langem zu setzen versucht hatten, konsequenter zu wahren.
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Doch während viele von uns fleißig über Grenzen reden und viel darüber lesen, gibt es immer noch eine große Zahl von Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Bedürfnisse wirksam mitteilen können. Der Grund dafür ist, dass das Wort „Grenze“ oft irreführend sein kann. Es vermittelt die Vorstellung, dass du dich von einer Situation oder einer Person, die dir Kummer oder Schwierigkeiten bereitet, entfernen solltest. Beunruhigenderweise scheint das oft damit einherzugehen, dass zwischenmenschliche Verhältnisse – seien es Freundschaften oder Arbeitsverhältnisse – und Personen – seien es Familienmitglieder oder Ex-Partner:innen – als „toxisch“ bezeichnet und so abgelehnt werden.
Als angehende psychodynamische Therapeutin höre ich häufig, dass die meisten platonischen und romantischen Beziehungen scheitern, weil keine Grenzen aufgezeigt wurden. Anstatt die Situation anzusprechen und gesunde Regeln zu setzen, ghosten manche von uns die andere Person lieber oder bezeichnen sie als „toxisch“. Das führt zu einer Kultur, die sich durch Schuldzuweisung auszeichnet und nicht nur kontraproduktiv ist, sondern es auch ermöglicht, sich der Verantwortung für seine eigenen Reaktionen zu entziehen.
Ich habe unzählige Memes auf Instagram-Therapie-Accounts gesehen, die uns helfen sollen, toxische Menschen zu erkennen. Die Wahrheit ist, dass mit Ausnahme einiger unglaublich ernster Umstände nur sehr wenige Menschen tatsächlich „toxisch“ sind. Und würden wir Gewalttäter:innen selbst unter diesen ernsten Umständen als „toxisch“ bezeichnen? Wahrscheinlich nicht. Es gibt andere Begriffe, um ihre Handlungen zu kategorisieren.
In Wirklichkeit sollte das Setzen gesunder Grenzen Beziehungen stärken und nicht als das Errichten von Mauern verstanden werden, um Menschen auszuschließen oder schwierige Gespräche über unsere Bedürfnisse und Gefühle zu vermeiden.
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Du brauchst dir nur Reality-TV-Sendungen wie Love Island und Keeping up with the Kardashians anzusehen, wo es alle fünf Minuten zu dramatischen Auseinandersetzungen kommt, um zu verstehen, warum das so ist. Diese Streitereien sind oft auf unzureichende Kommunikation zurückzuführen, bei der beide Parteien versuchen, die jeweils andere Person schnell verstummen zu lassen, anstatt miteinander zu reden und einander zuzuhören. Und dann gibt es da noch die sozialen Medien wie Twitter, wo die Kommentare mancher Leute in der Luft zerrissen werden. Natürlich gibt es Gelegenheiten, bei denen wir uns gegen Meinungen aussprechen sollten, wenn wir tatsächliche Veränderungen bewirken wollen. Dazu gehören solche, die rassistischer, sexistisicher oder homophober Natur sind und jede Art von Ungleichheit verstärken. Unsere Reaktionen sollten aber in produktivere Bahnen gelenkt werden. Diese Kommunikationstaktik ist genau das gleiche Prinzip, das du beim Setzen gesunder Grenzen befolgen solltest.

Das Setzen von Grenzen ist kein Versuch, eine Person zu verletzen oder abzuweisen. Grenzen können uns dabei helfen, Beziehungen mit anderen zu stärken und so aufrechtzuerhalten. Grenzen werden in der Hoffnung gesetzt, sodass die Bedürfnisse aller Beteiligten in Zukunft besser verstanden werden können.

Grenzen zu setzen, hört sich in der Theorie vielleicht relativ einfach an. Warum fällt es uns dann so schwer, auszudrücken, was wir nicht tolerieren können und länger wollen, zu beschreiben und darüber zu sprechen, was uns verletzt?
Ein Mangel an Grenzen hat oft eine Reihe von Gründen wie die Angst, andere zu verärgern oder zu enttäuschen. Menschen, die zu wenige Grenzen setzen oder sie nicht konsequent wahren, sind in der Regel sehr bedürftig (oder, psychologisch ausgedrückt, co-abhängig) und haben Angst davor, abgelehnt oder nicht gemocht zu werden. Dann gibt es wiederum Menschen, die es vorziehen, anderen die Schuld für ihre eigenen Gefühle und Handlungen zu geben, anstatt die Verantwortung zu übernehmen. Diese mangelnde Eigenverantwortung kann zu übermäßigen und unangebrachten Schuldzuweisungen führen. In der Psychologie nennen wir diesen Abwehrmechanismus „Projektion“.
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Wenn wir projizieren, übertragen wir einen Teil von uns selbst, den wir nicht akzeptieren wollen, wie Gedanken, Gefühle und Traumata auf andere Menschen. Das ist so, als würden wir das Haus einer anderen Person betreten, dort alles durcheinanderbringen und dann wütend auf sie sein, weil sie eine unordentliche Wohnung hat. Durch Projektion kannst du dich auf einfache Weise jeglicher Verantwortung entziehen, indem du die Schuld auf jemand anderen abwälzt. Sie ist oft ein Zeichen dafür, dass gesunde Grenzen gesetzt werden müssen.
Wie können wir also dieser Kultur der Schuldzuweisung ein Ende setzen? Erstens müssen wir unsere eigenen Grenzen erkennen und diese Bedürfnisse dann überzeugt mitteilen. Dann müssen wir entscheiden und erklären, welche Konsequenzen wir ziehen werden, sollten unsere Grenzen überschritten werden. Der Kontext und die Person spielen hier natürlich eine wichtige Rolle. Wenn du aber deine Grenzen voll und ganz wahren willst, ist es wichtig, dass du auch ja das tun, was du angekündigt hast. Grenzen sind oft emotionaler Natur, können aber auch physischer, materieller oder zeitlicher Natur sein. So können einige Grenzen in der Praxis aussehen:
Emotionale Grenzen
Emotionale Grenzen zu setzen, bedeutet zu erkennen, wie viel emotionale Energie du von einer anderen Person auf dich nehmen kannst und was du in ihrer Anwesenheit teilen oder tolerieren kannst und was nicht. Eine emotionale Grenze zu setzen, kann sich wie folgt anhören: „Ich verstehe, dass du gerade eine Menge durchmachst, aber ich verdiene es, mit Respekt behandelt zu werden. Ich werde deine Überschreitungen nicht tolerieren und werde mich aus dieser Situation zurückziehen.“
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Körperliche Grenzen
Körperliche Grenzen zu setzen bedeutet, dass du deinen persönlichen Raum und deine körperlichen Bedürfnisse festlegst. Eine körperliche Grenze zu setzen, kann folgenderweise klingen: „Ich steh nicht so auf Umarmungen. Ich schüttle lieber Hände, wenn ich Leute begrüße.“
Zeitliche Grenzen
Deine Zeit ist wertvoll. Deshalb ist es wichtig, Prioritäten zu setzen, wenn es darum geht, wie viel Zeit und Energie du einer Person oder Sache widmest. Zeitliche Grenzen zu setzen, kann sich wie folgt anhören: „Ich werde an dieser Veranstaltung teilnehmen, aber ich kann nur eine Stunde bleiben.“
Materielle Grenzen
Materielle Grenzen können mit allem zusammenhängen, was du besitzt, wie z. B. dein Auto, Erspartes, Kleidung usw. Wenn du materielle Grenzen setzt, vermeidest du, dass eine feindselige Stimmung aufkommt. Materielle Grenzen zu setzen, kann sich folgenderweise anhören: „Ich kann dir diese Kette nicht leihen, da ich sie von meiner Großmutter geschenkt bekommen habe und sie nicht ersetzen kann, falls sie verloren geht“.
Mentale Grenzen
Es ist wichtig, deine eigenen Überzeugungen, Werte und Meinungen zu haben und ihnen treu zu bleiben. Mentale Grenzen zu haben bedeutet aber auch, die Überzeugungen anderer zu respektieren. Diese Art von Grenze zu setzen, kann wie folgt klingen: „Ich respektiere deine Meinung, auch wenn ich anderer Meinung bin, und ich hoffe, du kannst meine respektieren.“
All diese Grenzen zu setzen ist leichter gesagt als getan, besonders für diejenigen, die Konfrontationen fürchten. Es ist jedoch wichtig, dich an dieses Unbehagen zu gewöhnen und auf ruhige Weise zu sagen, was du willst, anstatt schwierigen Gesprächen auszuweichen. Ein Mensch mit (klaren) Grenzen hat keine Angst vor einem Wutanfall oder einem Streit, ein Mensch mit unklaren oder gar keinen Grenzen schon. Es ist wichtig, dir vor Augen zu halten, dass das Setzen von Grenzen nie alle Bedürfnisse erfüllen kann, was wiederum frustrierend sein kann. Wenn du eindeutige Grenzen setzen willst, musst du zuerst verstehen, dass du nicht bestimmen kannst, wie sich jemand anderes fühlt. Du bist auch nicht dafür verantwortlich, wie dein Gegenüber reagieren wird. Eine gesunde Beziehung besteht nicht darin, die Verantwortung für die Gefühle des anderen zu übernehmen, sondern darin, sich gegenseitig beim Steigern des eigenen Selbstwertgefühls zu unterstützen.
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Sobald du über deine Bedürfnisse gesprochen hast, ist es wichtig, dich daran zu erinnern, dass es zwar an der anderen Person liegt, deine Grenzen zu akzeptieren, du aber die Verantwortung hast, diese Grenzen zu wahren. Es kann ärgerlich sein, wenn jemand deine Grenzen weiterhin überschreitet, aber es ist wichtig, in solchen Situationen konsequent, mitfühlend und entschlossen zu sein. Gesunde Beziehungen aufzubauen, kann ein schwieriger Prozess sein, aber letztlich ermöglicht er es, für gegenseitigen Respekt und Fürsorge in deinen Beziehungen zu sorgen.
Diejenigen, die einer Auseinandersetzung immer noch lieber aus dem Weg gehen würden oder die Schuld auf die andere Person schieben möchten, um sich der Verantwortung zu entziehen, sollten Folgendes bedenken: Das Setzen von Grenzen ist kein Versuch, eine Person zu verletzen oder abzuweisen. Grenzen können uns dabei helfen, Beziehungen mit anderen zu stärken und so aufrechtzuerhalten. Grenzen werden in der Hoffnung gesetzt, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten in Zukunft besser verstanden werden können.
Stina Sanders ist eine angehende psychodynamische Therapeutin.

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