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Ich sehe aus „wie eine Lesbe“ – ja und?

„Bist du lesbisch?“ Eigentlich ist es verrückt, dass mich so eine simple, oft gut gemeinte Frage als Teenager total aus der Fassung brachte. 
In Mainstream-Medien behaupten queere Charaktere ganz oft, schon immer gewusst zu haben, dass sie irgendwie „anders“ seien, dass sie schon seit ihrer Kindheit dieses „Geheimnis“ hätten. Bei mir war das nicht so. Als heute 22-jährige bisexuelle Frau blicke ich zurück und bin mir sicher: Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Ich kann mich nicht daran erinnern, schon in der Grundschule auf Mädchen gestanden zu haben, und ich schätze mal, meine „Verknalltheit“ in Chad aus High School Musical war meine Art, Heterosexualität zu schauspielern (ich war einfach zu anders, um Troy gut zu finden, redete ich mir damals ein).
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Während ich aber von meiner Sexualität damals keine Ahnung hatte, durchschauten mich andere hingegen genau. Als ich in die Pubertät kam, hatte ich immer öfter das Gefühl, andere wussten mehr über mich als ich selbst. Und meine Klamotten spielten dabei eine große Rolle.
Wie es bei bisexuellen Menschen häufig so ist, hat mein Modegeschmack schon immer beide Seiten des sexuellen Spektrums abgedeckt. Als Kleinkind wollte ich eine Prinzessin sein und alles, was ich trug, war rosa. Als ich aber älter wurde und meine Vorliebe fürs Bäumeklettern, Fußballspielen und Radschlagen entdeckte, wurden Klamotten für mich immer funktionaler: Sie sollten mich nicht stören. 
Als Teenager stand ich dann auf Pop-Punk-Bands und fing an, weite Baumwollhemden zu tragen und mir die Haare grellrot zu färben. Für ein paar Euro kaufte ich mir bei eBay eine gebrauchte Levi’s-Jeansjacke und trug meine kirschroten Doc Martens, bis die Sohle irgendwann abfiel. Mode wurde für mich immer mehr Selbstausdruck, und durch meine Kleidung fühlte ich mich wie ich.
Seltsamerweise bekam ich erst zu hören, ich würde mich „wie eine Lesbe“ anziehen, als ich auf der Oberschule eine Uniform tragen musste. Als diese Blazer eingeführt wurden, tat ich zwar so, als würde ich sie genau wie alle anderen total hassen – insgeheim fand ich sie aber super, weil sie schön viele Taschen hatten. Als ich aber den knielangen Rock anprobierte, den wir Mädchen dazu tragen sollten, gefiel mir überhaupt nicht, wie plump meine Beine darin aussehen. Also entschied ich mich für die weit geschnittene Uniformhose – und es war diese Entscheidung, die mich scheinbar als Lesbe outete.
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Wie wir alle wissen, können pubertäre Jungs die absolute Hölle sein. Sie nannten mich nicht bloß „hässlich“, nur weil ich eine für Teenager recht normale Anzahl an Pickeln im Gesicht mit mir rumtrug, sondern stempelten mich für meine Klamotten und mein generell jungenhaftes Aussehen als „falsches“ Mädchen ab – als eins, das keinen Respekt verdiente.

Die Horrorvorstellung, bei einer Pyjamaparty oder im Umkleideraum als die geheime Lesbe enthüllt zu werden, quält viele queere Mädchen.

Von manchen dieser Jungs wurde ich in der Schule also regelmäßig „Lesbe“ oder „Mann“ genannt. Wenn du dir alte Bilder von mir anguckst, wirkt das vielleicht komisch – schließlich war ich klein und hatte lange Haare –, aber ganz offensichtlich gab es da irgendeinen Weiblichkeitsstandard, dem ich nicht entsprach. Kombinierst du das mit einer Unzahl an Hormonen, ergibt das eine ziemlich unsichere, junge Frau.
Dieses Mobbing war allerdings nichts im Vergleich zu der Angst, die ich davor hatte, andere Mädchen könnten mich für eine Lesbe halten. Die Horrorvorstellung, bei einer Pyjamaparty oder im Umkleideraum als die geheime Lesbe enthüllt zu werden, quält viele queere Mädchen. Die Frage „Was bist du, ’ne Lesbe?“, gestellt von einem Mädchen, ruinierte mir nicht nur komplett den Tag, sondern triggerte jedes Mal eine Identitätskrise – denn ich glaubte zwar nicht, lesbisch zu sein, aber es immer wieder von anderen zu hören, ließ mich doch daran zweifeln.
Klar ist: Meine Klamotten waren kein geheimes Statement, vor allem kein Coming-out. Mit 14 Jahren hatte ich mich jedenfalls noch nie zu Mädchen hingezogen gefühlt – zu gar keinem Menschen, ehrlich gesagt. Ich wollte mich einfach bloß wohlfühlen. Die Unterstellung der Homosexualität, selbst wenn sie von jemandem kam, der oder die mich lieb hatte, verunsicherte mich demnach enorm. Was strahlte ich nach außen hin aus? Ich hatte schließlich selbst keine Ahnung, was ich wollte, wen ich mochte – ob ich überhaupt jemanden mochte. Die Vorstellung, dass meine Klamotten scheinbar „lesbisch“ wirkten, sorgten für eine Erwartungshaltung, die mich echt stresste.
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Leider half mir dabei auch nicht, zu wissen, dass es ja total okay war, queer zu sein. Im Zeitalter von Tumblr und Serien wie Glee und Orange is the New Black aufzuwachsen bedeutete zwar, dass Homosexualität in meinem Umfeld inzwischen weitestgehend als normal und akzeptabel gesehen wurde – aber so fühlte es sich für mich nicht an. Es kam mir nicht akzeptabel oder normal vor.
In seinem Coming-out-Video erzählt der YouTuber Daniel Howell, wie schlimm es für ihn war, in den 90ern zu bemerken, dass er queer war – in einem Jahrzehnt, in dem „gay“ bzw. „schwul“ ein Überbegriff für alles Negative war. Und das hatte sich auch nicht groß geändert, als ich 2010 in die Oberschule kam. Viele dieser Kinder waren zwar vermutlich nicht homophob – ich selbst nannte früher oft alles Mögliche „schwul“, ohne damit LGBTQ+ zu verurteilen –, aber als junger Mensch war es für mich sehr schwer, meine eigene Sexualität von der negativen Bedeutung dieser Wörter zu trennen.

Wer sagt, dass du nicht jeden Tag Lesben in Blumenkleidern und Schwulen in Hoodies und Shorts begegnest?

Die Vorstellung, dass meine Kleidung wortlos anderen etwas über mich verrieten, verunsicherte mich damals. Dabei ist Mode für die LGBTQ+-Community natürlich schon mindestens seit dem 19. Jahrhundert eine Möglichkeit zur Kommunikation; zurecht – als die Gesellschaft dich schließlich größtenteils für deine sexuelle Identität verurteilte, war es wichtig, in der Öffentlichkeit als hetero durchzugehen. Unauffällige Symbole wie eine grüne Blume oder die Farbe Lila signalisierten dann heimlich: „Ich gehöre zu euch.“
Um ernst genommen zu werden, entschieden sich viele Frauen zu dieser Zeit auch zum Crossdressing: Die Malerin Rosa Bonheur und die Schriftstellerin George Sand zum Beispiel trugen „männliche“ Kleidung, um beruflich erfolgreich sein zu können. In den 1940ern waren dann auch lesbische Frauen  „sichtbarer“; zwar versuchten sie nicht unbedingt, als Männer durchzugehen, kleideten sich aber offen maskuliner. 
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Weil Style natürlich viel mit Kultur zu tun hat, ziehen sich Teile einer Community selbstverständlich manchmal ähnlich an – und trotzdem hat der Großteil von uns gegenüber dem „lesbischen“ bzw. „schwulen Look“ starke Vorurteile. Feminine Kleidung wird daher oft mit schwulen Männern, maskuline Kleidung mit lesbischen Frauen in Verbindung gebracht. Aber wer sagt, dass du nicht jeden Tag Lesben in Blumenkleidern und Schwulen in Hoodies und Shorts begegnest? (Warum ziehen sich Hetero-Männer eigentlich so an? Ist euch nun heiß oder kalt?!)
Bisexuelle Menschen werden in dieser Diskussion – wie so oft – völlig außen vor gelassen. Wie viele Menschen, die sich zu allen Genders hingezogen fühlen, habe ich schon häufig mein sexuelles Interesse an sowohl Männern als auch Frauen hinterfragt; die gesellschaftliche Erwartung, ich würde mich eh irgendwann als Lesbe outen, ließ mich glauben, gar nicht auf Männer zu stehen. Andererseits gab es auch Phasen in meinem Leben, zu denen ich mich „mädchenhafter“ angezogen habe und die Leute überrascht reagierten, wenn ich ihnen erzählte, dass ich auf Frauen stehe. 
Zum Glück tut sich etwas: Dieser ganze Quatsch verschwindet mehr und mehr, je weiter wir uns als Gesellschaft von den binären Geschlechterrollen entfernen. Klar ist es heute deutlich schwerer zu erkennen, wer um mich herum lesbisch oder bi ist, wenn ich in einer Frauenmenge stehe, wo alle Vokuhila tragen. Und obwohl der modische Einfluss unserer Kultur viele queere Leute stört (und ich das auch verstehe), macht es mich doch irgendwie stolz, dass so viele Trends von lesbischen Frauen stammen: Power Suits, Männerhemden, Latzhosen, Undercuts. 
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Dass diese Trends jetzt von Leuten aller Sexualitäten und Gender getragen werden, nimmt ihnen vielleicht was von ihrer Exklusivität. Aber irgendwie tröstet mich der Gedanke, dass verwirrte Mädchen, wie ich eins war – die sich zu queerer Mode hingezogen fühlen, ohne zu verstehen, warum –, jetzt tragen können, worauf sie verdammt nochmal Lust haben, ohne damit Gespräche loszustoßen, für die sie noch nicht bereit sind. 
Die Unsicherheit, „lesbisch auszusehen“, kannst du nur überwinden, indem du dich ihr stellst: Du musst dich entscheiden, ob du dieser Angst so viel Macht über dich und dein Leben erlauben möchtest. Solange du in deinem Outfit nicht um deine Sicherheit fürchten musst, wird es dich so viel glücklicher machen, als alles tausendmal zu hinterfragen, was du anziehst. Mir persönlich hat es extrem geholfen, in eine Großstadt zu ziehen und zu merken: Hey, die meisten Leute denken nicht wie 14-Jährige (Gott sei Dank!). Und schließlich werden die meisten Menschen mit dem Alter immer selbstbewusster – auch ich. Selbst wenn jemand heute eine Meinung zu meinem Aussehen oder meiner Sexualität hat, ist mir das total egal. Anfangs kann es schwer sein, so zu denken, aber je früher du lernst, dich selbst zu akzeptieren, desto besser. 
Ich jedenfalls liebe meine absurd vielen Holzfällerhemden, meine weit geschnittenen Hosen, meinen Pixie Cut. Ich liebe es, zu einem schicken Anlass ein süßes Kleid zu tragen, und zum nächsten einen Anzug. Ich feiere meine maskuline und meine feminine Seite. Ich liebe queere Frauen, liebe es, eine zu sein und auch so auszusehen. Und am meisten liebe ich es, dass mein „lesbisches Aussehen“ nie wieder eine Beleidigung sein wird.

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