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Plus-Size-Models: War der Wandel in der Modewelt nur ein Marketingstunt?

Die Mode bildet alles Mögliche ab, aber sicher nicht die Realität. Du bist schwarz, kurvig oder klein? Stell dich schon mal hinten an. Wieso gibt es immer weniger Plus-Size-Models?

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Die Mode ist seit jeher eine exklusive Angelegenheit und bildet alles Mögliche ab, aber sicher nicht die Realität. Du bist schwarz, kurvig oder klein? Stell dich schon mal hinten an. Trotz der seit einigen Jahren propagierten Vielfalt sieht man auf den Laufstegen der New York Fashion Week aktuell mal wieder vor allem eine anonyme Masse superjunger, superdünner, supergroßer weißer Models.
Jedoch tut man der Industry Unrecht, wenn man behauptet, sie hätte es nicht versucht. Erst vor ein paar Saisons fanden einige Models ihre eigene Stimme und trauten sich, öffentlich über schlechte Behandlung, Fehltritte männlicher Fotografen am Set und geplatzte Checks zu sprechen. Zuvor war die Angst, nicht mehr gebucht zu werden und keine Deals mehr zu bekommen, wenn man den Mund aufmacht, einfach zu groß gewesen. Besser spät als nie, und tatsächlich fand diese Berufsgruppe, die, bis auf einige Ausnahmen, über Jahrzehnte wie lebende Kleiderständer behandelt wurde, Gehör. Nur eine Gruppe profitierte nicht von der neuen Offenheit.
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Der Fashion Spot Diversity Report von letzter Saison, ein zweimal im Jahr erscheinender Report, der sich mit der auf dem Laufsteg gezeigten Vielfalt auseinandersetzt, kam zu dem Schluss, dass bei den Herbst-/Winter-Schows 2018 weniger Plus-Size-Models gelaufen sind als in den zwei Jahren zuvor. In den Modehauptstädten liefen zur vergangenen Saison sage und schreibe 30 Curvy Models: 27 in New York, ganze drei in Paris und keine in London und Mailand. Das waren 0,4 Prozent des gesamten Castings und acht weniger als noch in der Saison davor.
Diesen Wandel zu übersehen, ist in der High Fashion Welt, wo Frauen ab Größe 40 schlichtweg nicht existieren, die leichteste Übung. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass die Plus-Size-Bewegung eher langsam voranschreitet, anstatt die Industrie radikal aufzumischen. Es steht außer Frage, dass Körperformen eben Körperformen und keine Trends sind. Trotzdem werden wir das Gefühl nicht los, dass sich nach einem kurzen Aufflammen von Plus Size auf den internationalen Laufstegen im Zuge der Body-Positivity-Bewegung nun wieder klammheimlich alles zum Alten wandelt.
In den letzten Tagen fand, wie gesagt, die New York Fashion Week statt. Wir haben versucht, hier mit so vielen Curvy- oder Plus-Size-Models wie möglich zu sprechen. Uns interessierten vor allem drei Dinge:
1. Hat sich der Laufsteg für dich verändert?
2. Was ist deiner Meinung nach die Ursache des Problems?
3. Was müsste deiner Meinung nach passieren, damit sich die Dinge langfristig ändern?
Doch nicht alle, die wir angefragt haben, wollten sich öffentlich äußern. Einige Agenturen, die behaupten, dass sie „aktuell nur Plus Size machen“, haben die Teilnahme der bei ihnen unter Vertrag stehenden Models abgelehnt. Uns gibt das zu denken. War der langerwartete Wandel in der Modewelt hin zu „echten“ Menschen auf dem Laufsteg nicht mehr als ein Marketing-Gag? Oder haben die Leute es schlichtweg satt, noch weiter über Kurven zu sprechen?
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Es sollte mittlerweile klar sein, wie wir, und auch einige andere Medien, zu diesem Thema stehen. Trotzdem glauben wir, dass hier noch lange nicht alles gesagt worden ist und die Diskussion am Laufen gehalten werden sollte. Deswegen sprachen wir mit einem Teil der 0,4 Prozent der Models, deren Stimme genauso gehört werden sollte wie alle anderen auch.
Allison Owens
„Ich habe mir immer gewünscht, mehr Plus-Size-Models auf dem Laufsteg zu sehen. Es ist ein extrem frustrierendes Unterfangen zu versuchen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Solange die großen Modehäuser nicht erkennen, dass kurvige Frauen schön sind, wird es keinen Wandel geben. Es ist immer zuerst die High Fashion, die Maßstäbe setzen muss, der Rest folgt dann nach und nach. Der Grund, warum Plus-Size-Models sich noch nicht etablieren konnten, ist, dass sie auf den High-Fashion-Runways unterpräsentiert sind.“
KhrystyAna
„Obwohl es nur extrem wenige Plätze in den Shows gibt, die mit Curve Models besetzt werden, und es dieses Jahr sogar noch weniger sind als sonst, arbeite ich genauso hart dafür, bei den Schauen mitlaufen zu können wie jedes andere Model auch. Ich bin Body-Positivity-Aktivistin, und als solche beobachte ich die Modeindustrie 24 Stunden am Tag und schaue mir an, wohin sie sich entwickelt. Ich finde es spannend mir anzusehen, nach welchen Mustern die Branche funktioniert. Ich traue mich zwar fast nicht, es zu sagen, aber ich fürchte, Plus-Size-Models waren nur ein Trend.
Wie viele kurvige Models arbeiten gerade in New York City und machen Runway Training? Und wie viele von denen werden schlussendlich wirklich auf Shows laufen? Wenn wir das mit den Chancen von Mädchen vergleichen, die den Standardanforderungen entsprechen, sehe ich mich 150 Models gegenüber, die Größe 32 oder 34, perfekte Haut, Haare und Zähne haben. Da kann man sich schon fragen, ob die Modeindustrie sich wirklich verändert. Oder ob der vermeintliche Wandel nicht vielmehr ein bisschen Theater ist, das aufgeführt wird und den aktuellen Interessen zu entsprechen.
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Wir sollten Designer immer wieder daran erinnern, dass es wichtig ist, verschiedene Körperformen zu zeigen. Alles, was gezeigt wird, hat einen riesigen Einfluss auf junge Menschen. Möchten die Designer die Verantwortung dafür übernehmen, dass so viele Leute Essstörungen haben oder sich selbst hassen?
Zwischen den „normalen“ Models und den Plus-Size-Models gibt es eine Grauzone. Würden Designer anfangen, Frauen mit Zwischengrößen zu casten, also 36, 38 und 40, würde das in der Modeindustrie sicherlich schon bewirken, dass der Umgang netter wird und Frauenkörper in verschiedenen Formen und Größen akzeptiert werden. Aktuell gibt es für Models mit diesen Zwischengrößen bei der New York Fashion Week schlicht keinen Markt.“
Ariel Pierre-Louis
„Ich habe das Gefühl, dass einige Brands in der letzten Minute Plus-Size-Models buchen, um ‚inklusiv’ zu sein. Und dann entscheiden sie sich nur für Models unter Größe 44. Schön, dass es mittlerweile einige kurvige Frauen auf dem Laufsteg gibt, aber authentische Plus-Size-Models zeigen die Designer immer noch nicht.
Body Positivity ist zu dem Konzept „Selbstliebe“ geworden. Das ist für sich genommen schön, aber meiner Meinung nach sind das zwei unterschiedliche Ideen. Was dann nämlich passiert, ist, dass die Diskussion sich verschiebt hin zu ‚Alle Frauen, die nicht superdünn sind, werden nicht gezeigt und leiden allesamt unter denselben Widrigkeiten. Also lasst uns bitte das dünnste Plus-Size-Model, das wir finden können, auf den Laufsteg schicken, damit wir immer noch so tun können, als seien wir inklusiv.’ Für mich liegt hier das Problem. Frauen mit Größe 42, 44 oder mehr, werden keine Sichtbarkeit auf dem Laufsteg erreichen können, wenn wir weiterhin so tun, als seien Plus Size und Größe 36 bis 40 das gleiche. Die Konzepte Body Positivity und Selbstliebe gleichzusetzen hat zur Folge, dass wir die großen Größen außen vorlassen.
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Wir sollten uns bewusst machen, dass Body Positivity bedeutet, dass Körper, die normalerweise nicht gezeigt werden, gesehen und gehört werden. Dicke Frauen, Behinderte, Schwarze, Transgender und so weiter. Diese Körper müssen nämlich wirklich in der Öffentlichkeit vertreten werden, weil sie sonst nicht vorkommen. Das ist etwas anderes als diese Mädchen, die einfach nur 10 Kilo mehr wiegen als die Standardmodels.“
Lauren Karaman
„Eines der 38 Plus-Size-Models zu sein, die im Frühjahr 2018 über den Laufsteg gegangen sind, war eine Erfahrung, die mein Selbstbewusstsein gestärkt hat. Als eine Frau über den Catwalk zu laufen, das nicht dem althergebrachten Schönheitsideal dieser Branche entspricht, hat mich zu dem Model gemacht, das ich schon immer sein wollte, nämlich zu einem, das am Wandel in der Modewelt mitarbeitet. Als ich las, dass Plus-Size-Models nur 0,4 Prozent aller gecasteten Models ausmachen, konnte ich es nicht glauben.
Das ist alles? Wie kann das sein? 67 Prozent tragen Größe 44 oder größer, und werden durch nur 0,4 Prozent der Models auf dem Laufsteg repräsentiert? Wenn die Fashionindustrie sich nicht ändert, um die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Kundinnen zu befriedigen, wird allen Frauen, die nicht Größe 34 oder 36 tragen, weiterhin Glauben gemacht, sie müssten abnehmen um schön oder glücklich zu sein.
Die sinkende Anzahl von Plus-Size-Models damit zu erklären, dass in der Herbst-/Winter-Saison 2018 weniger Shows in New York stattfinden und Brands wie Tracy Reese (die für ihre vielfältigen und inklusiven Casts bekannt ist) dieses Jahr keine Show machen, halte ich für keine zufriedenstellende Erklärung. Ich denke nicht, dass die Verantwortung dafür, dass die Modewelt vielfältiger wird, allein bei den Marken liegt, die für ihre Shows sowieso schon unterschiedliche Körperformen, Altersgruppen und Ethnien casten. Vielmehr liegt diese Verantwortung bei den Marken, die es nicht tun.
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Allen innerhalb und außerhalb der Fashionbranche möchte ich sagen: Verstummt nicht, macht weiter Krach. Ich bin im Kampf um Gleichheit an eurer Seite!“
Jocelyn Corona
„Vielleicht wollen die Leute nicht so viel riskieren. Aber um dieses Problem zu lösen, müssen wir Risiken eingehen. Insbesondere die Designer müssen sich da mehr trauen, denn ihre Arbeit ist, was man am Ende sieht. Es ist toll zu sehen, wie all diese schönen Frauen sich gegenseitig unterstützen und ermutigen. Gibt es einen besseren Weg um der Welt zu zeigen, dass jeder Mensch verdient hat, repräsentiert zu werden?“
Ali Tate
„Ich war ein wenig enttäuscht zu hören, wie wenige Plus-Size-Models in dieser Saison auf den Laufstegen zu sehen waren. Manchmal denke ich, viele Brands sind nur auf den „Diversity-Wagen“ aufgesprungen, um als cool und trendy zu gelten. Nachdem sie hinter dieses Thema einen Haken setzen konnten, ist es für sie nicht mehr relevant. Ich habe aber auch noch eine andere Theorie, mit der ich mich wahrscheinlich ziemlich unbeliebt machen werde: Der Grund, wieso es in dieser Saison weniger Plus-Size-Models auf dem Laufsteg zu sehen waren, ist, dass hier sommerliche Styles fürs nächste Frühjahr gezeigt werden. Das bedeutet, man sieht mehr Haut, die Teile sind kürzer. Vielleicht ist es noch zu früh, viele kurvige Models in kurzen Sachen über den Laufsteg zu schicken? Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist, aber möglich wäre es.
Wenn Marken weiterhin nur dünne, weiße, junge Models casten, sollten sie sich erklären müssen. Aber ich sehe auch die Möglichkeit eines Wandels. Wenn Modefirmen endlich feststellen, dass sie mit Plus-Size-Models und –Mode mehr Geld machen, wird sich hoffentlich einiges ändern. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sich Firmen die Chance, mehr zu verdienen, durch die Lappen gehen lassen würden.“
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Emme
„Als ich letztes Jahr die Chromat-Show gelaufen bin, war ich stolz drauf, Frauen über 50 zu repräsentieren. Teil einer so inklusiven Show zu, sein war extrem aufregend, gleichzeitig waren wir uns aber auch alle sehr bewusst darüber, dass wir damit eine wichtige Message aussenden und andere dazu anregen, ihren Horizont zu erweitern.
Dass dieses Jahr weniger Plus-Size-Models auf dem Runway sind, führe ich darauf zurück, dass einige Labels leider dichtmachen mussten oder diese Saison keine Show machen, oder dass Brands die Aufmerksamkeit, die sie durch einen diversen Cast bekommen haben, nicht mochten. Ich denke, dass alle Beteiligten dem Wandel ein wenig Zeit geben müssen, sich zu etablieren. Man sollte da nicht vorschnell den Schwanz einziehen. Aber auch die Kunden sind gefragt, weiterhin positives Feedback zu geben und Läden und Designern Verbesserungsvorschläge zu machen. Der Wandel wird nicht automatisch über Nacht kommen. Es braucht viele Einzelpersonen, die sich zusammenschließen, um wirklich etwas zu verändern. Wie auch bei der Wahl, hast du mit einer Stimme die Macht.“
Sabina Karlsson
„Die Modebranche ist kurvigen Models gegenüber mittlerweile viel aufgeschlossener. Für mich gibt es immer mehr Möglichkeiten zu arbeiten, aber genug sind es immer noch nicht. Designer müssen weiterhin Plus-Size-Models buchen, nicht nur für eine Show in einer Saison als Marketingstunt. Auch in Kampagnen und Editorials sollten sie vermehrt auftreten. Wenn Vielfältigkeit in der Industrie weiterhin ein Thema bleibt, werden auch die Konsumenten ein positives Feedback dazu abgeben, weil sich dann einfach mehr Leute mit dem identifizieren können, was sie in den Anzeigen sehen. Ein positiver Kreislauf, wenn man so will.“
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Madeleine Ours
„Meine Perspektive hat sich geändert, seit ich auf dem Runway laufe. Ich fühle mich viel selbstbewusster. Es ist ein gutes Gefühl, von der Fashion Community gesehen zu werden, auch wenn es immer noch sehr viel Raum für Verbesserung gibt. Ich bin ein heterosexuelles, weißes Plus-Size-Model, aus meiner Sicht sollten sich noch mehr Designer trauen, auch Plus-Size-Models mit anderen Hintergründen laufen zu lassen.
Wenn jetzt aber wieder weniger kurvige Models zu sehen sind, könnte es dazu führen, dass normale Frauen sich von der Modebranche, und im Umkehrschluss auch von der Gesellschaft, weniger wertgeschätzt fühlen. Es scheint mir fast so, als wollten uns manche Designer absichtlich dieses unerreichbare Schönheitsideal verkaufen. ‚So sehen meine Designs an den dünnsten Frauen dieser Welt aus, tut mir ja leid, wenn du nicht reinpasst. Aber kaufen wirst du die Sachen trotzdem.’ Und das stimmt ja leider auch.
Designer sollten den Castingprozess als Möglichkeit ansehen, ihre Produkte an Frauen mit verschiedenen Hautfarben und Größen zu verkaufen. Wenn Kunden ein Model sehen, dass ihnen ähnlich sieht, können sie sich selbst besser in der Kleidung vorstellen. Es ist nicht nur eine moralische Entscheidung, möglichst viele verschiedene Leute zu zeigen, es ist auch eine Businessentscheidung.“

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